Ein Plädoyer für persönlich und ökumenisch ausgerichtete Pastoral
Ansprache beim 75. Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertag des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer e.V. am Montag, 17. September 2018 in der Kongresshalle Augsburg
von Bischofsvikar Domdekan Prälat Dr. Bertram Meier, Vorsitzender der ACK in Bayern
Nirgends fühlt sich ein Gedanke wohler als im Gespräch unter Freunden. Die heutige Veranstaltung ist für mich ein Treffen von Freunden aus ganz Deutschland. Ich freue mich, beim 75. Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertag hier in Augsburg ein Grußwort sprechen zu dürfen. Als Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog in der Diözese Augsburg und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in Bayern ist dies für mich eine Ehrensache. Gern übermittle ich auch die Grüße unseres Bischofs Dr. Konrad Zdarsa.
Außerhalb der Grenzen Bayerns werden Seelsorgerinnen und Seelsorger der christlichen Kirchen oft auch als Pastorinnen und Pastoren bezeichnet. Damit sind wir mitten im Thema: Uns allen, ob evangelisch oder katholisch, geht es um das Hirtesein, um Hirtendienst. Hirten sind heute selten geworden – schade! Dabei denkt man nicht nur an die Schaf- oder Ziegenhirten, die sich um ihre vierbeinigen Tiere kümmern. Es geht vor allem um konkrete Menschen, die Hirtendienste für andere übernehmen. Es gibt Leute, die führen zwar den Hirtentitel und lassen sich „Pastorin“ oder „Pastor“ nennen, aber eigentlich geht es ihnen weniger um die Ihnen anvertrauten Menschen, sondern um sich selbst. Fast zynisch stellte schon Papst Gregor der Große fest: „Die Welt wimmelt von Priestern, aber nur selten sieht man einen Arbeiter in Gottes Ernte.“ Und ein Zyniker unserer Zeit bemerkt messerscharf: „Es gibt heute zwei Arten von Hirten: Die einen interessieren sich für die Wolle, die anderen interessieren sich für das Fleisch. Für die Schafe interessiert sich niemand.“
Ohne Zweifel ein hartes Wort. Doch der „Stallgeruch“ unserer Gesellschaft gibt dem Kritiker recht. Hirten dieser Art gibt es genug. Sie spekulieren auf Wolle und Fleisch. Was sie interessiert, ist der Nutzwert, der Ertrag. Die Leistung zählt. Der Mensch wird „taxiert“, was schon im Reagenzglas beginnt. Er ist das, was er einmal leisten wird. Je mehr er einmal auf die Bank bringt, desto höher steigt sein Marktwert. Wer nichts mehr leistet, wird zum alten Eisen geworfen. „Die einen interessieren sich für die Wolle, die anderen interessieren sich für das Fleisch. Für die Schafe interessiert sich niemand“. Doch wir wollen nicht nur über die Gesellschaft schimpfen, sondern auch auf die Kirchen schauen. Jesus sagt uns das schöne Wort zu: „Ich bin der gute Hirt. Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich“. Mit dem Bild vom guten Hirten hat Jesus eine tiefe Sehnsucht des antiken Menschen angesprochen. Die Juden sahen in Gott den wahren Hirten, der sein Volk leitet. In seinem Auftrag war Mose der Hirt und Führer seines Volkes.
Auch bei den Griechen war das Motiv des Hirten beliebt: Gern hat man ihn sich in einem großen Garten vorgestellt, ein Schaf auf seinen Schultern. Der Garten sollte an das Paradies erinnern. So verbindet sich mit dem Hirten die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Die frühen Christen haben diese Vision Israels und Griechenlands aufgegriffen und weiterentwickelt, indem sie auf Christus blickten. Jesus verwirklicht die Bilder des Heils, die in der Seele der Menschen schlummern, so auch das Wort: „Ich bin der gute Hirt. Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich“. Am Maßstab des guten Hirten werden auch die Hirten von heute gemessen, besonders wir Seelsorgerinnen und Seelsorger.
So stoßen wir auf eine Eigenschaft, die einen Hirten nach dem Herzen Gottes auszeichnet. Es ist das Wissen umeinander, die Kenntnis voneinander, die Zuneigung füreinander, kurz: die Vertrautheit, die zwischen Hirt und Herde herrscht. Jesus nimmt jeden Jünger und jede Jüngerin persönlich. Jeder einzelne ist ihm wichtig. Jede und jeden kennt und nennt er mit Namen, nicht als Nummer. In der Heiligen Schrift haben „kennen“ und „lieben“ oft den gleichen Sinn. Also dürfen wir das Verhältnis zwischen dem Hirten und seinen Schafen als vertraute Beziehung deuten. Der Hirt kennt seine Schafe nicht nur aus der Pfarrkartei oder (in der modernen Version) nach der Computerdatei, sondern persönlich: er hat sie gern, er liebt sie. Doch weder Zettelkästen noch Monitore strahlen Liebe aus. Deshalb muss der Seelsorger von heute ein Mensch sein mit Fleisch und Blut – sowohl ein menschlicher Geistlicher als auch ein geistlicher Mensch: jemand, der etwas ausstrahlt von der zärtlichen Liebe Gottes. Wie heilsam, wenn in unseren Kirchen wieder mehr gesungen würde von der Zuneigung, die Gott zu uns Menschen hegt! Wie segensreich, wenn unsere Hirtinnen und Hirten weniger Klagepsalmen auf den Zustand ihrer Herden anstimmen und stattdessen die Melodie von der Liebe intonieren!
Hier sehe ich übrigens ein großes ökumenisches Potential. In der katholischen Kirche haben wir in den vergangenen Jahren viel debattiert und neu strukturiert durch pastorale Raumplanung und größere Seelsorgeeinheiten. Auch in den evangelischen Landeskirchen gibt es ähnliche Prozesse. So beschäftigt sich die evangelische Landeskirche in Bayern gerade mit PuK – einem Projekt, das auf Profil und Konzentration setzt. Gerade in vielen Bereichen der kategorialen Seelsorge sind wir ökumenisch gemeinsam unterwegs – und das mit großem Erfolg, z.B. in der Notfallseelsorge, Telefonseelsorge, in Gefängnissen, bei den Soldaten, in den Beratungsdiensten, bei Trauerfällen und vielerlei mehr. Gerade eine Zeit wie die unsere, in der die Seelsorgerinnen und Seelsorger immer mehr gedehnt und gestreckt werden, in der auch sie als Menschen in Gefahr stehen, am Limit zu arbeiten, ist für mich ein ökumenisches Ausrufezeichen: Wo können wir noch mehr zusammenarbeiten? Wo sind Herausforderungen, denen wir nur im ökumenischen Schulterschluss begegnen können? Es muss uns um die konkreten Menschen gehen – nicht wie sie in unseren Wunschträumen sein sollen, sondern wie sie wirklich sind. Es gibt also viel zu tun, packen wir’s gemeinsam an!