Am 11. Oktober fand im Exerzitienhaus Schloss Fürstenried ein Studientag der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bayern statt. Das Thema lautete: „Hinschauen: Judenfeindschaft in unserer Gesellschaft“. Die Realität hatte mit dem antisemitischen Anschlag in Halle drei Tage früher die lange geplante multilateral ökumenische Tagung in dramatischer Weise überholt. Zum Gedenken an die Opfer hielten die TeilnehmerInnen eine Minute lang Stille.
Es war ein starkes Zeichen, dass 22 Mitglieds- und Gastmitgliedskirchen der ACK in Bayern zusammen mit 4 mitwirkenden Organisationen gegen Judenfeindschaft gesetzt haben. Der Vorsitzende der ACK in Bayern, Prälat Dr. Bertram Meier, der z.Z. Diözesanadministrator der Diözese Augsburg ist, fasste schon in seinem Grußwort die Grundintention des Studientags zusammen: „Unser Studientag wird sich die (Selbst)Kritik der christlichen Traditionen nicht ersparen: die jahrhundertelange Pflege antijüdischer Stereotypen, die Entfaltung theologischer Systeme in feindseliger Abgrenzung vom Judentum, das Schweigen von Christen vor den unsäglichen Gräueltaten gegen die jüdischen Geschwister oder sogar das aktive Mitmachen bei deren Verfolgungen ist nicht kleinzureden. Wir müssen weiterhin Konsequenzen ziehen und zu einem ökumenisch verantwortbaren Handeln gegen alle Formen des Hasses gegen die Juden ermutigen, gerade heute, wo rechtsradikale Parolen wieder salonfähig in unserer Gesellschaft werden. Ich glaube, dass wir uns in der Vielfalt unserer Traditionen darüber einig sind: Antisemiten haben in der Ökumene nichts zu suchen “ .
Delegierte der ACK lasen am Beginn der Tagung judenfeindliche Zitate wichtiger Gestalten des Christentums aus verschiedenen kirchlichen Traditionen, um deutlich zu machen, dass solche Aussagen lange auf das Christentum gewirkt haben und dass sie die ganze Vielfalt der christlichen Traditionen angehen; niemand sei von der Verantwortung verschont. Dr. Axel Töllner von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau schilderte prägnant in einem einführenden Vortrag die Erscheinungsformen der impliziten und expliziten Judenfeindschaft.
Am Nachmittag fanden zwei Podiumsdiskussionen statt. Die erste, moderiert von der ev.-luth. Delegierten PD Dr. Sr. Nicole Grochowina, war Erfahrungen von Judenfeindschaft im Alltag gewidmet. Frau Eva Haller von der Europäischen Janusz Korczak Akademie und ihr Ehemann Roman von der Claims Conference gaben spannende Impulse aus jüdischer Sicht; Felix Benneckenstein von EXIT Deutschland, selber Aussteiger aus der Neonazi-Szene, erzählte persönliche Erfahrungen und schilderte die antisemitischen Denkmuster der Neonazis. Pastoralreferent Ludwig Schmidinger von der KZ-Gedenkstätte Dachau stellte die präventive Arbeit der Gedenkstätte dar und sprach von verschiedenen Formen des Antisemitismus im Alltag.
Die von dem griechisch-orthodoxen Archimandriten Georgios Siomos moderierte zweite Podiumsdiskussion befasste sich u. a. mit folgenden Fragen: Wie gehen unsere Kirchen mit Judenfeindschaft um und was sind die ökumenischen Aufgaben von heute? Was können und müssen wir gemeinsam tun? Professor Dr. Wolfgang Heinrichs von der Bergischen Universität Wuppertal (Bund Freier evangelischer Gemeinden), der neugewählte griechisch-orthodoxe Vorsitzende der ACK Deutschland Erzpriester Radu Constantin Miron, Dr. Andreas Renz vom Erzbischöflichen Ordinariat München und Dr. Axel Töllner sprachen selbstkritisch über das judenfeindliche Erbe ihrer Traditionen, aber auch für die Möglichkeiten eines konstruktiven christlichen Umgangs mit der Herausforderung des Antisemitismus. Deutlich wurden die Unterschiede an Prioritäten, Tempo und Methoden in den verschiedenen Kirchen, einig waren aber die Diskutanten darüber, dass Judenfeindschaft völlig inakzeptabel im christlichen Kontext und in ökumenischen Gremien ist. Es gibt noch viel zu tun in der Theologie, in Liturgie und Pastoral, im Religionsunterricht.
Wegen der Ereignisse in Halle hat im letzten Moment der Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Staatsregierung, Staatsminister a.D. Dr. Ludwig Spaenle seine Teilnahme abgesagt. Der Leiter seiner Geschäftsstelle, Herr Ulrich Fritz, sprach an seiner Stelle ein Grußwort.
Am Ende der Veranstaltung fuhren mehrere Delegierte der ACK-Kirchen zur Münchner Hauptsynagoge auf dem Jakobsplatz, um an einer von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern veranstalteten Solidaritätsaktion für die jüdische Gemeinde teilzunehmen und gemeinsam mit allen BürgerInnen der Stadt ein Zeichen gegen Hass, Gewalt und Terror zu setzen.
Das Programm des Studientages finden Sie hier.
Informationen über ältere Studientage der ACK in Bayern finden Sie hier.